Eine Liebe in Berlin by Marie Louise Fischer

Eine Liebe in Berlin by Marie Louise Fischer

Autor:Marie Louise Fischer [Fischer, Marie Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-95751-113-3
Herausgeber: hockebooks gmbh
veröffentlicht: 2016-01-29T16:00:00+00:00


Als Justus Weigand am nächsten Tag in die Frauenstation kam, um sich nach Lotte Mielkes Befinden zu erkundigen, lag sie in hohem Fieber und erkannte ihn nicht.

»Hochgradige Gebärmutterentzündung«, erklärte die Oberschwester. »Wir müssen sie zur Operation vorbereiten.«

»Exstirpation!« Justus Weigand erschrak. »Das ist bitter. Bei einem so jungen Ding.«

»Kein Grund, sentimental zu werden«, sagte die Schwester nüchtern. »Ein anständiges Mädchen, ja, das würde wohl traurig sein, wenn es erfährt, dass es nie im Leben Mutter werden kann. Aber bei so einer Person liegen die Dinge ganz anders. Die wird ja nur froh sein, wenn sie in Zukunft ohne Risiko fik …« Beinahe wäre ihr ein ordinäres Wort entschlüpft, das sich im Munde einer würdigen Diakonisse sehr schlecht ausgenommen hätte; es gelang ihr gerade noch, es zu unterdrücken. »Ist doch wahr«, murmelte sie, »warum soll man die Dinge nicht beim Namen nennen?«

»Wenn sie nur durchkommt«, sagte Justus Weigand.

»Machen Sie sich deswegen man keine Sorgen. Die Sorte kenne ich, die ist zäh. Die halten Strapazen aus, an denen eine anständige Frau längst zugrunde gegangen wäre.« Sie sah Justus Weigand so böse an, als wenn sie ihn für den Urheber von Lotte Mielkes Unglück hielte. »Und wenn nicht, was macht das schon? Von der Sorte gibt es genug, die werden nie alle.«

Justus Weigand wusste, dass er im Kampf mit diesem alten Drachen unweigerlich verlieren würde; so grub er die Zähne in die Unterlippe und zwang sich zu schweigen. Er atmete auf, als sich die Oberschwester den ihr untergeordneten Diakonissen zuwandte, um ihnen ihre Anweisungen zu geben.

Er nahm die Gelegenheit wahr, sich zu Lotte Mielke herabzubeugen. »Lotte«, flüsterte er eindringlich, »so hören Sie mich doch … Ich soll Sie von Egon grüßen!«

Aber sie warf den fieberheißen Kopf hin und her ohne ein Zeichen des Verständnisses. Sie war nicht mehr fähig, etwas von dem aufzunehmen, was um sie her vorging.

Volle acht Tage hielt Stefanie von Stucken in der Abgeschiedenheit ihres Jungmädchenzimmers aus, und sie hätte es wahrscheinlich noch länger ertragen, wenn Frau Elvira nicht vorläufig klug auf jeden weiteren Versuch, ihre rebellische Tochter zu beeinflussen, verzichtet hätte.

Am ersten Tag ihres Arrests war Stefanie noch guten Mutes gewesen und fest entschlossen, auf Biegen oder Brechen durchzuhalten, auch wenn ihre Eltern zu dramatischeren Maßnahmen greifen würden. Aber da nichts geschah, gar nichts, da man sie von früh bis spät in ihrem Zimmer sitzen und die Wände anstarren ließ, wurde ihr die Einsamkeit allmählich zur Qual.

Sie vertraute lange, sehnsüchtige und leidenschaftliche Ergüsse ihrem Tagebuch an, bis dieses bis zur letzten Seite gefüllt war. Sie las wieder die kleine Bibliothek ihrer eigenen Bücher durch, von denen ihr ohnehin jedes einzelne von der ersten bis zur letzten Zeile vertraut war, und benutzte die Zeit, um eine verhasste Handarbeit, eine Kreuzstichdecke mit einem sehr komplizierten Muster, fertigzustellen. Sie räumte ihren Schrank und ihre Kommode auf, stopfte ein Paar zerrissener Strümpfe. Danach blieb ihr dann nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.

Der einzige Mensch, mit dem sie hin und wieder einige Worte wechseln konnte, war Bertha, das große, linkische Stubenmädchen, das ihr warmes Wasser und zu den Mahlzeiten ein wohl angerichtetes Tablett ins Zimmer brachte.



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